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Wir sind hier!

Eine Ausstellung mit Highlights und Neuzugängen der Sammlung

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Mit der Ausstellung Wir sind hier! feiert das Haus Konstruktiv seinen Umzug ins Löwenbräukunst-Areal. Nach fast 25 Jahren im ewz-Unterwerk Selnau eröffnet das Museum nun in einer ersten Etappe den Ostteil an der Limmatstrasse 268. Diese Standortverlagerung markiert nicht nur ein neues Kapitel in der Geschichte des Hauses, sondern bietet auch den perfekten Anlass, die hauseigene Sammlung in einer inspirierenden Auswahl über drei Ausstellungsräume hinweg erlebbar zu machen.

16.5.–28.9.2025
kuratiert von Sabine Schaschl und Evelyne Bucher

Zur Medienmitteilung

Die Sammlung des Museum Haus Konstruktiv umfasst rund 1000 Werke und vermittelt einen qualitätvollen Überblick über die Entwicklung der konkreten, konstruktiven und konzeptuellen Kunst von den 1920er-Jahren bis in die Gegenwart. Der Bestand ist zum grossen Teil durch Schenkungen von Künstler:innen, Galerien und privaten Sammler:innen gewachsen. Darüber hinaus ermöglichen der Club Fonds Konkret sowie das Legat von Elisabeth Launer (seit 2014) gezielte Ankäufe zeitgenössischer Kunst und tragen so zur kontinuierlichen Erweiterung und Vernetzung künstlerischer Positionen bei.

Das Herzstück von Wir sind hier! bildet der hintere Ausstellungssaal, der den Zürcher Konkreten Max Bill, Richard Paul Lohse, Verena Loewensberg, Camille Graeser und deren Umfeld gewidmet ist. Ihr künstlerisches Wirken, das bis heute weit über Zürich hinausstrahlt, gab 1986 den Anlass zur Gründung der Stiftung für konstruktive, konkrete und konzeptuelle Kunst, der Trägerschaft des Museums.

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Ausstellungsansicht, Museum Haus Konstruktiv, 2025, Foto: Stefan Altenburger

Beim Betreten des Ausstellungsraums fällt der Blick zuerst auf zwei Gemälde von Camille Graeser (1892, Carouge – 1980, Wald). Wie die anderen Zürcher Konkreten war auch der 1933 aus Deutschland zurück in die Schweiz geflüchtete Graeser stark vom russischen Konstruktivismus und von der niederländischen De-Stijl-Bewegung beeinflusst. Während seine frühen Bildstrukturen durch Waagrechte, Senkrechte und das Quadrat bestimmt sind, erfahren die späteren Kompositionen durch den Einsatz rhythmischer Farb- und Formabfolgen eine Dynamisierung. Im Spätwerk bringt sogar ein aus der Reihe fallendes Quadrat Bewegung ins Bild.

An der linken Wand befinden sich zwei Werke von Richard Paul Lohse (1902, Zürich – 1988, ebd.). Ähnlich wie die russischen Konstruktivisten, die mit künstlerischen Mitteln zu einer besseren Gesellschaft beitragen wollten, sah auch Lohse den Künstler als einen aktiven Mitgestalter der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit. Seine ab den 1940er-Jahren entwickelten «modularen» und «seriellen Ordnungen» verkörpern durch ihre nicht-hierarchischen Strukturen ein demokratisches Gestaltungsprinzip, das ihm zeitlebens wichtig blieb. Die «Modularen Ordnungen» setzen meist auf komplementäre Farben, die in Reihen oder durch Drehungen und Verschachtelungen arrangiert sind, während die «Seriellen Ordnungen» aus bis zu 30-stufigen Farbabfolgen bestehen.

Gleich anschliessend ist ein Schnurbild von Leo Leuppi (1893, Zürich – 1972, ebd.) zu sehen, der 1937 mit Lohse die Künstlervereinigung Allianz ins Leben rief und als deren langjähriger Präsident eine wichtige Vermittlerrolle für die Avantgardekunst in der Schweiz einnahm. In den von der Allianz organisierten Ausstellungen trafen so unterschiedliche Strömungen wie Konstruktivismus, konkrete Kunst und Surrealismus aufeinander. Diese Offenheit spiegelt sich auch in Leuppis eigenem Werk wider, in dem sowohl konstruktive als auch surrealistische Elemente zu finden sind.

Verena Loewensberg (1912, Zürich – 1986, ebd.), die wie Max Bill Mitglied der Allianz war, gehörte als einzige Frau dem inneren Kreis der Zürcher Konkreten an. Trotz zahlreicher Ausstellungsbeteiligungen nahm sie mit ihrem Verständnis von Konkretion und Komposition als Künstlerin in der männlich dominierten Szene der Konkreten eine Sonderstellung ein. Breite Anerkennung erfuhr sie erst ab den 1970er-Jahren, als man ihr Werk gerade seiner Vielfalt wegen zu schätzen begann. So war Loewensberg 1981 die erste Frau, die im Kunsthaus Zürich mit einer Einzelausstellung gewürdigt wurde. Ihre Werke, stets unbetitelt und in Öl gemalt, basieren auf einfachen geometrischen Formen und entfalten durch den subtilen Einsatz der Farben eine lyrische Wirkung. Zudem haben sie etwas Leichtes, Beschwingtes an sich, das nicht zuletzt auf die Vorliebe der Künstlerin für Jazzmusik zurückgeführt werden kann.

Max Bill (1908, Winterthur – 1994, Berlin), von dem zwei Gemälde in Rautenform gezeigt werden, war wohl der umtriebigste unter den Zürcher Konkreten. Er betätigte sich in verschiedenen Berufsfeldern und vermittelte auch als Autor seine Ideale in zahlreichen Texten weit über die Landesgrenzen hinaus. In Anlehnung an Theo van Doesburg formulierte er 1936 in einem programmatischen Text die Grundsätze der konkreten Kunst, die er später immer weiter präzisierte. Unter dem Einfluss von Wassily Kandinksy, László Moholy-Nagy, Paul Klee und Josef Albers, die Bill 1927/28 als Student am Bauhaus in Dessau erlebte, entwickelte er eine eigenständige künstlerische Sprache. Die Malerei verstand er als Kernstück seines breit gefächerten Schaffens: als freies Experimentierfeld ästhetischer Ideen, die auf Mass und Ordnung beruhen, gebunden an ein begründbares, rational strukturiertes Konzept.

Der Zeichner und Plastiker Florin Granwehr (1942, St. Gallen – 2019, Zürich) entwickelte seine Werke stets nach einer klaren, auf Mathematik und Geometrie beruhenden Logik. Eine zentrale Konstante in seinem Schaffen bildet die Auseinandersetzung mit Zahlenverhältnissen, Zahlenreihen und mathematischen Formeln, anhand derer er die Proportionen und Winkelmasse seiner raumplastischen Strukturen bestimmte. Die Nähe zur konstruktiv-konkreten Kunst ist unübersehbar – auch wenn Granwehr selbst sich wiederholt von deren Lehren distanzierte. Tatsächlich erscheinen viele seiner Werke wie visuelle Denkmodelle, was auch eine gewisse Affinität zur Konzeptkunst nahelegt.

Im selben Raum werden vier künstlerische Positionen präsentiert, die sich mit dem Thema der Farbkante und ihren Unschärfen auseinandersetzen. Shizuko Yoshikawa (1934, Omuta, JP – 2019, Zürich) spielt in ihren weissen Reliefstrukturen mit fein nuancierten «Farbschatten», die als leuchtende Farblinien an den Kanten der Reliefs sichtbar werden. Auch Hans Jörg Glattfelder (1939, Zürich) und Jakob Bill (1942, Zürich) arbeiten in ihren Gemälden mit farbigen Randzonen. So wird bei Bill ein inneres Quadrat von einem Farbband umschlossen, das von Gelb zu Hellgrün bzw. von Gelb zu Orange verläuft. Glattfelder hingegen verwendet ein Netz von doppelt geführten Linien in zwei verschiedenen Farben, die dicht nebeneinanderlaufend viereckige Binnenformen umreissen. Durch die gewählte Farbkombination der Doppellinien entsteht ein Flimmereffekt.

Ergänzt wird die Präsentation an dieser Wand durch ein Spätwerk von Nelly Rudin (1928, Basel – 2013, Uitikon), das sich kompositionell ebenfalls auf die Bildkante konzentriert. Zu sehen ist zudem Rudins Entwurf zum Tramwagen der VBZ der Linie 2 (1990), der von 1990 bis 1992 in Zürich fuhr. Er steht exemplarisch für die Zürcher Konkreten und ihr Umfeld, die parallel zur bildenden Kunst auch vielfach im Bereich der angewandten Kunst arbeiteten – sei dies als Architekt:in, Grafiker:in oder Designer:in. Die Tram Nr. 2 bedient die Haltestellte Tiefenbrunnen. Hier befand sich von 1987 bis 2000 die Stiftung für konstruktive und konkrete Kunst (wie sie damals noch hiess) – worauf auf dem Tramwerbeträger mit dem damaligen Stiftungslogo hingewiesen wird.

Im nächsten Raumabschnitt zeigen wir mit Werken von Gottfried Honegger (1917, Zürich – 2016, ebd.) und Fritz Glarner (1899, Zürich – 1972, Locarno) zwei Künstler, mit denen das Haus Konstruktiv eng verbunden ist. Honegger war einer der Initiatoren unserer Trägerstiftung. Zu sehen ist ein Tableau-relief von 1986, das ein strenges Quadratraster mit einer schwarz schimmernden, malerisch sinnlichen Oberfläche verbindet. Daneben hängt das 1956 gemalte Relational Painting von Fritz Glarner, der zwar den Zürcher Konkreten nahestand, nach seiner Übersiedlung in die USA 1936 aber stärker von Piet Mondrian beeinflusst wurde. Glarner entwickelte für seine Kompositionen ein System, das aus Modulen von einseitig um 15 Grad angeschnittenen Rechtecken und den Farben Rot, Blau, Gelb, Schwarz, Weiss und Grau besteht. Die unterschiedlich grossen Trapezformen fügte Glarner so ineinander, dass ein rhythmisch dynamisiertes und sensibel ausbalanciertes Gefüge entstand. Im Rockefeller Dining Room hat der Künstler das Prinzip des «Relational Painting» zu einem eindrücklichen, begehbaren All-Over erweitert. Die für den damaligen New Yorker Gouverneur und späteren US-Vizepräsidenten Nelson Rockefeller angefertigte Raumgestaltung wird ab 2026 – mit der Eröffnung unseres zweiten Ausstellungsflügels im Westteil des Löwenbräukunst-Areals – wieder zugänglich sein.

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Ausstellungsansicht, Museum Haus Konstruktiv, 2025, Foto: Stefan Altenburger

Mit den Arbeiten Red Explosion von Christian Herdeg (1942, Zürich) und Lichtpinsel 3 & 4 von Marguerite Hersberger (1943, Basel) kommt das Licht als gestaltungsgebendes Element hinzu. Beide, Herdeg und Hersberger, nutzen Licht, um Räume sinnlich erfahrbar zu machen, wobei sie mit Farbe, Transparenz und architektonischen Bezügen spielen, um die Wirkung der Immaterialität zu erzeugen. So erstaunt es kaum, dass auch Kunst am Bau inzwischen zu einem wichtigen Arbeitsfeld der beiden geworden ist.

Die Werkreihe Cristallina von Rita Ernst (1956, Windisch) basiert auf architektonischen Grundrissen historischer Castelli in Sizilien. Durch die rhythmische Anordnung vertikaler und horizontaler Felder sowie Balken in Schwarz, Grau, Silber und Weiss entstehen vielschichtige Bildräume, in denen ein spannungsreiches Zusammenspiel von Figur und Grund erlebbar wird.

In der Passage hängen die Werke von Elodie Pong (1966, Boston) und Philippe Decrauzat (1974, Lausanne) einander gegenüber. Beide sind in Schwarz-Weiss gehalten, stern- bzw. propellerförmig und machen das sehende Auge zum Thema. Decrauzat, der in seinem Schaffen häufig auf Mittel der Op-Art zurückgreift, lässt unseren Blick vom Zentrum aus der Struktur entlang nach aussen gleiten lässt – der Werktitel Peripheral Vision ist hier Programm. Pong hingegen setzt Bewegung ein, das Kernelement der kinetischen Kunst, um die Betrachter:innen Kreise wahrnehmen zu lassen, wo im Stillstand schwarz-weisse, quadratische Abschnitte zu sehen sind.

Im zweiten Ausstellungsraum auf der rechten Seite ist der Parcours à angles droits von Vera Molnar (1924, Budapest – 2023, Paris) ausgestellt. Ab den 1950er-Jahren beschäftigte sich Molnar regelmässig mit dem Thema Linie. So stellte sie sich die Frage, ab wann eine Linie ein Rechteck ist oder ob das Rechteck die Linie bereits in sich trägt. Diese Mehrdeutigkeiten sind auch hier erfahrbar und werden um die Thematik der Linie als «Spur» ergänzt.

Gegenüber befinden sich vier Werke von Andreas Christen (1936, Bubendorf – 2006, Zürich). Sowohl als Künstler wie auch als Designer pflegte Christen ein konzeptionelles, von der Klarheit der Geometrie geprägtes Vorgehen, das sich in seinen Kunstwerken mit dem ephemeren Phänomen Licht verband. Auf den zueinander geneigten, rein weissen Bildflächen entstehen bei natürlichem Lichteinfall mannigfaltige Licht- und Schattenbewegungen in verschiedenen Nuancen von Grau- und Weiss. Je nach Blickwinkel führt dies zu einem unsteten visuellen Erlebnis und regt somit zu einer Überprüfung der eigenen Wahrnehmung an: Wie verlässlich ist, was wir zu sehen meinen?

Die an Palmen erinnernden Plastiken der Künstlerin Vanessa Billy (1978, Genf) entpuppen sich bei näherer Betrachtung als Bündel von auf Stahl montierten Glasfaser- und Starkstromkabeln. Während der untere Teil fest verschnürt ist, explodiert der obere in alle Richtungen. Die Kabel, die als unsichtbare unterirdische Infrastruktur die Welt unterwandern und auf die wir uns tagtäglich wie selbstverständlich verlassen, wirken ausserhalb ihres funktionalen Kontexts beinahe organisch, fremdartig. Und so verändern diese beiden Werke unsere Sicht. «Wir haben uns am ‹Bauen› erfreut, wie beispielsweise daran, Öl zu Plastik verwandeln», sagt Vanessa Billy dazu, «und jetzt müssen wir lernen, abzubauen. Nichts verschwindet, es ändert vielleicht den Zustand, aber es verbleibt, wir leben in einem geschlossenen Kreislauf.»

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Ausstellungsansicht, Museum Haus Konstruktiv, 2025, Foto: Stefan Altenburger

Sonia Kacem (1985, Genf) zeichnet sich in ihrer künstlerischen Arbeit durch eine hohe Sensibilität für Materialien aus. In ihrer unbetitelten Serie von 2024 beschäftigt sie sich mit Materialanhäufung, der Definition von Volumen durch Linien und Drapierung wie auch mit dem Ornament. In Anlehnung an den Minimalismus, insbesondere den des amerikanischen Künstlers Robert Morris, untersucht Kacem die Auswirkungen der Schwerkraft auf die Materie und die Spannungen, die sie beleben.

Das Werk Free Buren von Sylvie Fleury (1961, Genf) zeugt vom Spiel der Künstlerin mit der Ernsthaftigkeit männlich konnotierter Kunstkonzepte durch kleine Ergänzungen oder Modifikationen: Vertikale Streifen sind seit Jahrzehnten das Markenzeichen des französischen Künstlers Daniel Buren. Anlässlich der Ausstellung Um die Ecke denken 2016 im Haus Konstruktiv verband Fleury die Wandmalerei The Eternal Wow mit dem Bild Free Buren zu einer ortsspezifischen Wandarbeit. Sie weitete die für Buren typischen Streifen so aus, dass der Anschein einer räumlichen Ausbuchtung entsteht – eine ironische Lesart seiner stets strikt definierten Werke.

Der Venezolaner Ricardo Alcaide (1967, Caracas) gelingt es, in seinem Schaffen die konstruktiv-konkrete Tradition Venezuelas auf zeitgenössische Weise aufzugreifen und sie zugleich mit einer biografischen und gesellschaftskritischen Note zu verbinden. Das Thema Sonnenuntergang findet man in Alcaides Werk in zahlreichen Variationen, wobei die Farbpalette nur wenig variiert, meist ist sie in Pastelltönen gehalten. Für den Künstler spielen hier zahlreiche Gedanken mit: Der Sonnenuntergang ist einerseits Kindheitserinnerung, die Erinnerung an ein Aufwachsen in einem prosperierenden Venezuela, andererseits steht er für das gleissende Licht des Untergangs – und ist somit auch politisch konnotiert. Er wird zu einem Sinnbild der Verbindung von Gestern und Heute und letztlich der Unendlichkeit. Ein Beispiel hierfür ist die Installation Sunset. Die Arbeit besteht aus sieben schaukastenartigen Wandobjekten in den Farben Gelb, Orange, Apricot, Rosa, Violett, Hell- und Petrolblau. Die aus Polyurethan auf MDF gefertigten Objekte sind durch Linien oder hervorstehende Elemente geometrisch unterteilt (und über die sieben Werke auch mit einer gemeinsamen Horizontlinie vereint). Erst aus der Nähe wird erkennbar, ob die Unterteilungen gemalt oder tatsächlich physisch eingefügt sind – ein Trompe-l’œil-Effekt, der eine Betrachtung aus verschiedenen Blickpunkten fordert.

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Ausstellungsansicht, Museum Haus Konstruktiv, 2025, Foto: Stefan Altenburger

Um das Einfangen des Lichts und die Grenzen zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit kreist auch die umfangreiche Werkgruppe der Macula-Skulpturen von Tobias Putrih (1972, Kranj, SI). Die etwas übermannshohen Kartonsäulen, die in unterschiedlichem Durchmesser ein freibleibendes Zentrum umschliessen, sind transluzent und erzeugen dank ihrer zarten Struktur einen Moiré-Effekt.

Vis-à-vis von Alcaides Objekten befindet sich die Arbeit Connect the Dots, ein Werk der österreichischen Künstlerin Brigitte Kowanz (1957, Wien – 2022, ebd.), die viel mit dem Medium Licht gearbeitet hat. Der Titel übersetzt ein Zitat aus einer Rede von Steve Jobs an der Stanford University 2005 in den Morsecode. Jobs sprach über verschiedene Entscheidungen in seinem Leben, die sich erst im Nachhinein als Meilensteine in seinem Werdegang entpuppten und miteinander verbinden liessen. So ist auch Kowanz’ Installation nicht im ersten Moment entschlüsselbar. Erst wenn wir das Werk «zu Ende» gelesen und alle Zeichen decodiert, also sozusagen die Punkte (und Striche) verbunden haben, verstehen wir die Nachricht. Diese Metapher kann auf viele Aspekte des Lebens angewendet werden, und nicht zuletzt ist sie repräsentativ für unsere (Kunst)Geschichtsschreibung. Auch die Arbeit des Museum Haus Konstruktiv verbindet Punkte in der Geschichte der konstruktiven, konkreten und konzeptuellen Kunst, mit deren Erbe es sich befasst, neu. Wir betrachten sie immer wieder aus der Perspektive unserer Gegenwart – aber eben nur rückwärts.

Links von Kowanz’ Installation hängt eine Collage von Elisabeth Wild (1922 Wien – 2020 Panajachel, GT). Die letzten Lebensjahre verbrachte die Künstlerin im Hochland Guatemalas. Inmitten der üppigen Vegetation dieser Region schuf Wild am Schreibtisch ihres Ateliers beinahe täglich eine Collage. Das Material dafür entnahm sie Mode-, Kunst- und Architekturzeitschriften, und das Format richtete sich nach dem Motiv, das die Künstlerin als Hintergrundbild und Träger der jeweiligen Collage auswählte. Mit Schere, Leim und Lupe sowie viel Gespür für Farbe, Form und Komposition kreierte Wild enigmatische Bildwelten, die sie selbst als «Fantasías» bezeichnete, die einzeln aber keine Titel tragen. Oftmals symmetrisch ins Bild gesetzt, sind die feinen Papierschnipsel zu dichten, zwischen Realität und Illusion changierenden Mikrokosmen verschränkt, in denen surreal anmutende Elemente ebenso auftauchen wie geometrische Formen, architektonische Versatzstücke und Ausschnitte von Markenemblemen oder sonstigen reizvollen Fundstücken. Wild gelang mit diesem intuitiven und spielerischen Remix zugleich ein Streifzug durch Stilmittel der Kunst- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts.

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Ausstellungsansicht, Museum Haus Konstruktiv, 2025, Foto: Stefan Altenburger

Harald Naegeli (1939, Zürich) kennt man seit Mitte der 1970er-Jahre als Sprayer von Zürich. Für die Zwingli-Stadt, die mit dem Slogan «erlaubt ist, was nicht stört» die Stadtbewohner:innen zu disziplinieren versuchte, ist sein Wirken eine Herausforderung. Als nächtliches Gespenst bringt Naegeli seine minimalistischen Figuren in den öffentlichen Raum, ohne sich um irgendwelche Besitzverhältnisse zu scheren. Weniger bekannt ist, dass Naegeli, der an der Kunstgewerbeschule Zürich die Ausbildung als wissenschaftlicher Zeichner begann und in seinen Arbeiten unter anderem auf Kasimir Malewitsch anspielt, zahlreiche Collagen und Zeichnungen schuf. Naegeli bezeichnet seine Graffitis als extrovertierte Kunst und historischen Reflex auf den Dadaismus, während er sein zeichnerisches Œuvre als seine introvertierte, meditative Arbeit sieht. Eine besondere Stellung nimmt hier die Werkreihe Urwolke (ab 1991) ein, von der sich acht Blätter in der Sammlung des Museum Haus Konstruktiv befinden. Im Spannungsfeld von Leere und Form, auf weissem Grund als Symbol für das Universum, sind die feinen, mit Tusche aufgetragenen Strukturen Manifestierungen von Energie und folglich des Lebens. Letzteres fliesst auch in die Rückseiten der Urwolken ein, auf denen Naegeli tagebuchähnliche Notizen anbringt. Das Profane und Existenzielle gehen somit Hand in Hand.

Links von Naegelis Zeichnungen hängt ein Werk von Christine Streuli (1975, Bern), das mit einem geometrisch strukturierten Hintergrund ein Charakteristikum konkret-konstruktiver Kunst aufgreift. Der Pinselstrich nimmt in Streulis Werk eine zentrale Rolle ein. Zum einen verweist er – als eine Art Hommage – auf die Tradition der Malerei selbst, zum anderen spielt er auf ikonische Werke wie Roy Lichtensteins Brushstrokes an und stellt so eine Verbindung zur Pop-Art wie zur Kunstgeschichte insgesamt her. Auch in Falling Apart (permanent version)_05 wird der Pinselstrich zelebriert. Dabei wird er nicht als malerisches Element, sondern als Verweis auf die Verbindung zwischen klassischer Malerei und zeitgenössischer Kunst inszeniert.

Das vielfältige, unterschiedlichste Medien umfassende Werk von Rodrigo Hernández (1983, Mexiko-Stadt) zeichnet sich durch eine poetische Annäherung an Formen, Materialien und Bedeutungen aus, wobei Schrift und Sprache eine zentrale Rolle spielen. Besonders augenfällig ist seine Bezugnahme auf präkoloniale Schriftsysteme, etwa der Maya, die er nicht nur als historisches Relikt, sondern als lebendige visuelle Sprache begreift.

Den Abschluss des Ausstellungsrundgangs bildet The End von Francisco Sierra (1977, Santiago). Blickt man von hier aus noch einmal nach rechts zu Graesers Gelb-Schwarz-Volumen 11:1 mit seinem herabfallenden Quadrat, so wird vor Sierras sarkastisch-frecher Arbeit deutlich, dass den Bezugnahmen aufs Konstruktiv-Konkrete weder Grenzen gesetzt sind noch ein Ende in Sicht ist.

Im Foyer schlagen wir eine Brücke zu unserer letzten Ausstellung im ewz-Unterwerk Selnau – Konzepte des All Over. Für diese Schau hatte Esther Stocker (1974, Schlanders, IT) ein immersives Werk geschaffen, dessen strenge Ordnung mit Knitterskulpturen durchbrochen wurde. Zwei dieser Skulpturen hat die Künstlerin an die neuen räumlichen Gegebenheiten angepasst und das ursprüngliche Material «rezykliert», sodass sie als Souvenirs Erinnerungen an unseren einstigen Standort in sich bergen, während sie als eigenständige Werke Fragen zu Ordnungssystemen aller Art aufwerfen.

Die Wandarbeit Orange Curve von Carissa Rodriguez (1970, New York) gehört zu einer Serie von monochrom gefärbten Salzgüssen, deren Formgebung das Bildvokabular des US-amerikanischen Hard-Edge-Künstlers Ellsworth Kelly aufgreift.

Ausserhalb unserer Ausstellungsräumlichkeiten, im Durchgang zum Westflügel des Löwenbräukunst-Areals, bespielt das Museum Haus Konstruktiv künftig auch die «Glasbox». Während der Sammlungsausstellung zeigen wir zwei Videoarbeiten von Dominik Stauch (1962, London), in denen jeweils der Sound den Rhythmus der annimierten Bildabfolgen bestimmen. In Hard Edge Ride (2011) gleiten schwebende hellgelbe Farbflächen vor tiefschwarzem Hintergrund und erzeugen eine faszinierende, sich stetig wandelnde Bildwirkung. Die klar strukturierte geometrische Komposition und die kühle Ästhetik verweisen – ebenso wie der Titel – auf die Hard-Edge-Malerei der 1960er-Jahre. Begleitet wird das Farbformspiel von dezent vibrierenden Gitarrenklängen und Samples.

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