Christoph Büchel

Man kann sich dessen fast gewiss sein: Wann immer Christoph Büchel (1966, Basel, CH) eine seiner aufwendigen Installationen in Museen oder Galerien eröffnet, wird darüber in der Öffentlichkeit, manchmal gar in den politischen Etagen, heftig debattiert. Die Gemüter erhitzen sich daran, dass ein Swingerclub, 2010 eingerichtet im Untergeschoss der Wiener Secession, Kunst sei und der Steuerzahler für ein derart schlüpfriges Geschäft aufkommen soll. Oder man ist empört, dass eine leerstehende Kirche in Venedig für die Dauer der Biennale 2015 in eine aktive Moschee umgewandelt wird. Die Behörden brachten letztlich Verstösse gegen Nutzungsvorgaben des ehemaligen Gotteshauses als Grund vor, um das Kunstprojekt nur zwei Wochen nach Inbetriebnahme zu beenden. Handelt es sich bei diesen Beispielen quasi um sozialräumliche Readymades, mit denen Büchel das Ausstellungswesen aufmischt, so führt er die Besucher auch in seinen realitätsnahen Nachbildungen von privaten und halbprivaten Räumen immer wieder in Grenzbereiche der eigenen Empfindung, indem er sie zu unfreiwilligen Voyeuren werden lässt und den Finger auf wunde Punkte der Gesellschaft legt. Vielzitiert ist seine Installation «Home Affairs» von 1998, bei der er einen Ausstellungsraum in Chicago in eine täuschend echt wirkende Messie-Wohnung umwandelte, oder die Ausstellung «Close Quaters» von 2004 im Kunstverein Freiburg, wo er ein Flüchtlingsheim inszenierte. Nicht selten ist bei Büchel auch der Körpereinsatz des Publikums gefragt, man klettert, kriecht und windet sich durch seine detailversessenen Environments.
Büchel wird gerne als Guerilla-Künstler bezeichnet, doch sind seine Werke viel mehr als blosse Provokation: Er schafft es, Fragen nach Territorial- und Besitzansprüchen und die gerne verdrängten Aspekte des gesellschaftlichen Lebens so zu thematisieren, dass sich jede und jeder betroffen fühlt. Betroffenheit, ja Beklemmung löst auch sein unbetiteltes Werk aus der Sammlung des Haus Konstruktiv aus: Die Designikone der 1920er-Jahre, der Rietveld-Stuhl, ist mit massiven Ledergurten versehen, was sofort an den elektrischen Stuhl und an Folter erinnert. Bedenkt man aber, dass der Architekt Gerrit Rietveld mit seinem Stuhlentwurf damals die Konzepte der konstruktiv-konkreten Künstlergruppe De Stijl auf ein alltägliches Gebrauchsstück übertrug, lässt sich natürlich auch fragen: Ist hier die Folter durch künstlerische Dogmen dargestellt? Der Zwang des «form follows function»-Prinzips? Wie immer gibt Büchel keine Antworten, sondern er stösst weitreichende Diskussionen an.

Deborah Keller
Geboren:
11.9.1966, Basel
Werke von Christoph Büchel