Der ungarische Künstler Etienne Béothy (ursprüngl. István Béothy; 1897, Heves, HU – 1961, Paris, FR) ist bekannt geworden durch sein eigenständiges Skulpturenwerk im Grenzbereich zwischen Figuration und Abstraktion. Zu seinem Œuvre gehören aber auch zahlreiche konstruktive Skizzen, Zeichnungen und Malereien. Wie eine Vielzahl von ungarischen Künstlern emigrierte Béothy nach dem Ersten Weltkrieg aus politischen Gründen nach Paris, um in einem geistig günstigeren Klima sein Werk zu entwickeln. Dort gründete er 1932 mit Auguste Herbin und Georges Vantongerloo die bedeutende Künstlervereinigung Abstraction-Création. Sie wurde zum internationalen Forum für die Anliegen der konstruktiv-konkreten Kunstrichtungen.
Theoretische Grundlagen zum Thema Proportion und insbesondere zum Goldenen Schnitt, die Béothy in der ab 1919 verfassten Schrift «La Serie d’Or» zusammentrug, haben den Fortgang seiner Arbeiten geprägt, wie die Skulptur «Der Goldene Schnitt» aus der Sammlung des Museum Haus Konstruktiv beispielhaft illustriert. Auch seine beiden anderen zentralen Themen Harmonie und Rhythmus finden sich sowohl in seinen Zeichnungen und Malereien als auch in den Skulpturen. Binnen Kurzem wurde Holz das bevorzugte Material des Künstlers. Abstrakt-biomorphe Formen lösten schon ab den 1930er-Jahren seine ersten menschlichen Statuetten und Liebespaare ab. Dennoch blieben es immer Konkretionen von Lebenselementen, die nicht immer modern anmuten, sondern zuweilen gar an klassische Plastiken der Antike erinnern. In Béothys Skulpturen zeigt sich der Wunsch nach Harmonie und Erhebung in Gestalt ineinander verschlungener Wogen und züngelnder Rhythmen. Diese späten, pointiert und leicht wirkenden Figuren sowie die proportionierten Flächen in den Malereien sind von einer sinnlichen und emotionalen Kraft getragen.
Etienne Béothys künstlerisches Bestreben bestand vor allem darin, einen universellen Wert von Harmonie – eine Quintessenz des Lebens – in einem wissenschaftlich-esoterischen Sinne zu vermitteln und weniger darin, die absolute Kontrolle von Intuition durch ein Gesetz aufzuzeigen. Fortschritt und Klassik, Natur und Kultur schliessen einander in seinem Werk nicht aus.
Ursula Meier