Am Anfang des Alphabets steht das A, und das war schon bei den Phöniziern so. Auf ihrem Alphabet fusst das griechische und später auch das lateinische, das wir in Europa bis heute verwenden. Dieser Buchstabe faszinierte Renato Spagnoli (1928, Livorno, IT – 2019, ebd.) so sehr, dass er sich ab den 1960er-Jahren bis zu seinem Tod immer wieder mit ihm auseinandersetzte. In unzähligen Varianten hat er ihn gezeichnet, gedruckt, gemalt oder auch in skulpturale Form gebracht.
Die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges, die Spagnoli als Jugendlicher hautnah erlebte, haben ihn nachhaltig geprägt und seine politische Haltung beeinflusst. Bereits 1948 trat er der kommunistischen Partei bei. Damals arbeitete er für eine Wartungsfirma im Lokomotivdepot, erst 1956 begann er mit Künstlerfreunden zu malen, zu dieser Zeit noch figurativ. Der Besuch der Biennale di Venezia 1960 brachte die Wende: Dort stiess er unter anderem auf Werke von Franz Kline und kam so über das Action Painting zur gegenstandsfreien Kunst. 1963 gründete er innerhalb der Anarchistischen Föderation von Livorno zusammen mit Giorgio Bartoli, Renato Lacquaniti und Mario Lido Graziani die Künstlergruppe Atoma. Diese interessierte sich insbesondere für die von Claude Shannon begründete Informationstheorie. Spagnoli ging es dabei allerdings weniger um deren mathematische Aspekte als vielmehr um ihre Implikationen für die optische Datenübertragung, Kodierung und Kommunikation, wie sie nicht zuletzt von den Massenmedien und dem Siegeszug des Fernsehens verkörpert wurden. Um diese Themen zu untersuchen, nutzte er die Wiederholung, aber auch die visuelle Analyse eines Symbols, wie es der Buchstabe A darstellt. Als Anfang des Alphabets ist das A ein Archetyp, ein Zeichen, ein Symbol der Kommunikation. Gleichzeitig werden die Buchstaben aber durch ihre künstlerische Verwendung von einem rein gesprochenen oder geschriebenen zu einem «gesehenen» Zeichen, das von jeder «analogen Bedeutung und jedem mentalen Bezug entleert ist», wie die Kunsthistorikerin Alice Barontini festhielt.
Mit der Arbeit «S.T. 30-62» (1962) in der Sammlung des Museum Haus Konstruktiv befasst Spagnoli sich mit Zeichen und wie sie der Kommunikation auf visueller Ebene dienen können. Sie gehört zu seiner Serie der «Segni» [Zeichen]. Reduziert auf wenige Flächen, ist das Werk eine Art Collage mit schwarzen Vinylstreifen, die sich über gelbes Papier legen.
Linda Christinger